Ansprüche der Erben aus digitalem Nachlass

Ansprüche der Erben aus digitalem Nachlass

Ansprüche der Erben aus digitalem Nachlass

Digitaler Nachlass: Rechte der Erben in Bezug auf ein Benutzerkonto in einem sozialen Netzwerk

Die fortschreitende Digitalisierung bringt auch für das Recht neue Herausforderungen mit sich. Explizit im Erbrecht stellen sich diffizile Fragen, wenn sich der Nachlass des Erblassers auch aus Nutzerkonten sozialer Netzwerke zusammensetzt, wie ein hochspannendes aktuelles und vielzitiertes Urteil des BGHs zeigt.

Sachverhalt:
In dem vorliegenden Fall stritten die Parteien über den Zugang zu dem Benutzerkonto einer minderjährigen Erblasserin in einem sozialen Netzwerk. Die noch minderjährige Erblasserin verunglückte aus bis dato unerklärlichen Umständlichen tödlich, als sie in einem U-Bahnhof von einem einfahrenden Zug erfasst wurde. Nach dem Tod der Erblasserin versuchte sich die Klägerin, welche zugleich die Mutter der Erblasserin ist, in das Benutzerkonto der Erblasserin einzuloggen. Das Benutzerkonto der Erblasserin war jedoch von der Beklagten – der Betreiberin des sozialen Netzwerks – bereits in den sog. Gedenkzustand versetzt worden, welcher bewirkt, dass ein Zugang zu dem Benutzerkonto – selbst mit den zutreffenden Zugangsdaten – nicht mehr möglich ist, während das Konto jedoch mitsamt seinen gespeicherten Inhalten bestehen und für die zuvor bestimmte Zielgruppe auch noch sichtbar bleibt. Die Kommunikationspartner der Verstorbenen können überdies – abhängig von den Privatsphäreeinstellungen Erinnerungen in der Chronik der Verstorbenen teilen. Die Klägerin trug vor, dass ein Zugang zu dem Benutzerkonto deshalb unerlässlich sei, weil durch das Benutzerkonto und die darin enthaltenen Kommunikationsinhalte Aufschluss darüber erlangt werden könne, ob die Erblasserin Suizidabsichten gehegt habe. Auch bestände, nach Angaben der Klägerin, die Möglichkeit mit einem solchen Zugang Schadensersatzansprüche des U-Bahn Fahrers abzuwehren.

Instanzengang:
Das Landgericht Berlin (LG) verurteilte die Beklagte der Erbengemeinschaft (bestehend aus Vater und Mutter der Erblasserin) einen vollständigen Zugang zu dem Benutzerkonto der Erblasserin und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren. Das Kammergericht Berlin (KG) verbot der Beklagten dagegen nach § 88 Abs. 3 S. 3 TKG den Eltern der Verstorbenen den Inhalt und die Umstände der über das Benutzerkonto abgewickelten Kommunikation mitzuteilen. Explizit fehle es an einer gesetzlichen Erlaubnis zur Weitergabe der privaten Nachrichten, einer Einwilligung der Kommunikationsteilnehmer*innen und die Erben seien auch nicht am Kommunikationsvorgang beteiligt gewesen. Ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis sei zudem nicht gerechtfertigt. Zu der Einrichtung des Gedenkzustands sei die Beklagte berechtigt gewesen und weder das elterliche Sorgerecht noch das Totenfürsorgerecht oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Eltern könnten vorliegend als Grundlage für einen Zugangsanspruch der Eltern dienen. Gleiches gelte für einen analogen Auskunftsanspruch nach § 34 BDSG.

Höchste Instanz:
Der BGH widersprach der Ansicht des KG in einem sehr umfangreichen und ausführlichen Urteil. Entgegen der Auffas-sung des KG sei die Klägerin berechtigt von der Beklagten zu verlangen, den Erben Zugang zum Benutzerkonto der Erblasserin sowie den darin enthaltenen Inhalten zu gewähren.
Ein solcher Anspruch ergebe sich aus dem auf die Erben nach § 1922 BGB übergegangenen schuldrechtlichen Vertrag zwischen der Erblasserin und der Beklagten über die Einrichtung und Nutzung eines Benutzerkontos.
Die Erben als Vertragspartner hätten einen Anspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto der Erblasserin sowie den darin enthaltenen vermögensrechtlichen und höchstpersönlichen (digitalen) Inhalten. Zwar könne die Vererbbarkeit von Ansprüchen vertragliche ausgeschlossen werden, ein solcher Ausschluss sei jedoch weder in den Nutzungsbedingungen noch in den Regelungen der Beklagten zum Gedenkzustand, welche zudem auch kein Bestandteil des Nutzungsvertrags geworden seien, auffindbar.

Weiterhin ergäbe sich die Unvererbbarkeit der Ansprüche auch nicht aus dem Wesen des Vertrags, da die Pflichten der Vertragsparteien nicht höchstpersönlicher Natur seien.

Der BGH betonte, dass der Anspruch der Klägerin auf den Zugang zu dem bestehenden Konto der Erblasserin und nicht auf die Fortführung dieses Kontos gerichtet sei. Ein Wechsel der Person des Kontoberechtigten sei der Beklagten nicht unzumutbar und die persönlichen Daten der ehemals Kontobe-rechtigten würden nicht verändert. Das Lesen der Datenbasis falle zudem – vergleichbar mit der Rechtslage bei dem Ver-senden eines Briefes – bei verständiger Würdigung in die Risikosphäre der Kommunikationsteilnehmer*innen, welche damit rechnen müssten, dass ein*e Dritte*r Kenntnis von dem Inhalt der Nachricht erhalten könnte. Des Weiteren beschäftig-te sich der BGH mit einer im Schrifttum vorherrschenden Differenzierung nach dem Inhalt des Benutzerkontos. Nach dieser seien zwar E-Mails oder Nachrichten in einem sozialen Netzwerk mit vermögensrechtlichem Bezug vererbbar, nicht jedoch solche mit höchstpersönlichem Inhalt. Die Nachrichten seien somit zunächst der*m nächsten Angehörigen des Erblas-sers zuzuleiten. Diese Ansicht lehnt der BGH ab, obgleich auch diese hier zu dem Ergebnis führen würde, dass der Zugang zu gewähren ist, da die (klagenden) Erben zugleich auch die nächsten Angehörigen der Erblasserin seien.

Weiterhin bestärkt der BGH seine Ansicht mit dem Verweis auf Gesetze bezüglich des Übergangs von höchstpersönlichen Inhalten (Familienpapiere, Familienbilder etc.), nach welchen auch diese unabhängig von ihrem Vermögenswert auf die Erben übergehen würden. Eine solche Wertung sei auf die digitalen Inhalte zu übertragen.

Hinzukommend stände das postmortale Persönlichkeitsrecht der Erblasserin, welches schlussendlich den nächsten Angehörigen der Erblasserin zustände, der Vererbbarkeit digitaler höchstpersönlicher Inhalte nicht entgegen. Auch das Fernmeldegeheimnis beeinträchtige die Vererbbarkeit der vertraglichen Ansprüche nicht, da in Bezug auf die Kommunikation zwischen dem Absender- und dem Empfängerkonto nun die Erben berechtigt seien.

Vorliegend sei nicht das Speichermedium oder die Verkörperung der Nachricht, sondern der Grad des Vertraulichkeitsinteresses sowohl der*s Absenderin*s als auch der*s Empfängerin*s von Relevanz.

Auch datenschutzrechtliche Erwägungen seien hier außen vor zu lassen, weil sich durch den Eintritt des Erbfalls nichts an der Berechtigung der Datenverarbeitung ändere. Viel eher sei die Datenverarbeitung in Form der Zugangsgewährung zur Wah-rung der berechtigten Interessen der Erben sogar erforderlich. So sei vor allem das durch Art. 14 S. 1 GG grundrechtlich geschützte Erbrecht der Erben zu beachten. Durch das auf die Erben übergegangene Vertragsverhältnis hätten diese einen Primärleistungsanspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto der Erblasserin sowie den darin enthaltenen vermögensrechtli-chen und höchstpersönlichen (digitalen) Inhalten.

Würde den Erben dieser Anspruch nicht zuerkannt, so würde durch die faktische Entziehung der Rechtsposition der eminent wichtige erbrechtliche Grundsatz der Universalsukzession ausgehöhlt.

Der Zugang zu dem Benutzerkonto diene auch der Prüfung, ob weitere Ansprüche gegen Dritte, als auch die Erblasserin, bestünden oder Handlungen rechtsgeschäftlicher Art erforderlich seien. So wie auch vorliegend die Erben vermögensrecht-liche Abwehrinteressen gegenüber dem U-Bahn Fahrer verfolgen. Die Aufklärung über eventuelle Suizidabsichten der Tochter seien zudem als ideelles Interesse berücksichtigungs-fähig. Auch die nach europarechtlichen Maßstäben erfolgende Interessenabwägung zwischen den Interessen der Kommunikationspartner und den Interessen der Klägerin und des Vaters der Erblasserin führe nicht dazu, den Erben den Zugang zu dem Benutzerkonto zu versagen. Den Nutzern*innen eines sozialen Netzwerkes sei – ähnlich wie bei dem Versenden eines Briefes – durchaus bewusst, dass sie nach dem Versen-den einer Nachricht nicht mehr kontrollieren können, wer nach der Übermittlung und Bereitstellung durch die Beklagte von deren Inhalt Kenntnis nimmt – explizit in dem Fall, in dem der Empfänger verstirbt. Diese Wertung gelte auch für minderjährige Nutzer*innen.

Hinweis: Der vorliegende Fall zeigt deutlich auf, wie wich-tig die Regelung auch des digitalen Nachlasses ist! Die Kennt-nis der neusten Rechtsprechung ist hierbei überaus elementar. In seinem Urteil geht der BGH explizit darauf ein, dass die Klägerin auch die nächste Angehörige der Erblasserin ist. Wäre dies nicht der Fall gewesen, wäre ein anderes Ergebnis durchaus denkbar. Dies verdeutlicht, wie entscheidend eine fachkundige einzelfallbezogene Beratung ist.

Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass seit dem 01.12.2021 durch das „Gesetz zur Regelung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien“ (TTDSG) in § 4 TTDSG eine „Regelung der Rechte des Erben des Endnutzers und anderer berechtigter Personen erfolgt“.

Quelle: BGH, Urt. v. 12.07.2018 – III ZR 183/17

Beitragbild: ©AdobeStock: Ingo Bartussek

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