Anfechtung einer Erbausschlagung  –  §§ 1953, 1954, 1957 I, 119 II BGB

Anfechtung einer Erbausschlagung – §§ 1953, 1954, 1957 I, 119 II BGB

Anfechtung einer Erbausschlagung  –  §§ 1953, 1954, 1957 I, 119 II BGB

Einleitung:
Wenn ein Mensch stirbt, geht dessen Vermögen, und zwar sowohl das sog. Aktivvermögen als auch seine Schulden auf den oder die Erben über. Die Erben treten in die Rechtsposition des Verstorbenen ein – mit allen Rechten und Pflichten. Deshalb ist es wichtig, sich nach dem Tod des Erblassers so schnell es geht einen Überblick über die Vermögensverhältnisse zu verschaffen. Stellt sich heraus, dass mehr Schulden als Vermögen vorhanden sind, ist es oftmals besser, die Erbschaft auszuschlagen.

Was aber, wenn Sie bei der Willensbildung, die letztendlich zur Ausschlagung führte, einem Irrtum unterlagen?  Für solche Fälle sieht das Gesetz die Möglichkeit der Anfechtung der Ausschlagungserklärung vor.

Die §§ 1954 bis 1957 BGB gehen davon aus, dass eine Anfechtung der unwiderruflichen Ausschlagungserklärung möglich ist, sie bestimmen aber keine Anfechtungsgründe. Daher ist auf die allgemeinen Anfechtungsregeln der §§ 119, 120, 123 BGB zurückzugreifen.

Sachverhalt:
Seit ihrem elften Lebensjahr hatte eine Frau keinen Kontakt zur alkoholkranken Mutter. Als diese verstarb, schlug die Tochter das Erbe aus. Als sich später herausstellte, dass ein fünfstelliges Vermögen vorhanden war, erklärte sie die Anfechtung der Ausschlagung.
Eine Kriminalbeamtin hatte die Frau über den Tod der Mutter informiert und von dem chaotischen und unaufgeräumten Zustand deren Wohnung im Bahnhofsviertel erzählt. Ohne sich die Sache selbst anzusehen, schloss die Tochter daraus fälschlicherweise auf eine Überschuldung des Nachlasses und das Aktiva, wie etwa Kontoguthaben, nicht vorhanden sein müsse. Erst durch ein Schreiben des Nachlasspflegers habe sie erfahren, dass ihre Mutter tatsächlich über Kontoguthaben im oberen fünfstelligen Bereich verfügte. Die Tochter focht daher die Erbausschlagung an und beantragte einen Erbschein, den das Nachlassgericht mit der Begründung zurückwies, dass die Anfechtung der Erbausschlagung unwirksam sei.

OLG Frankfurt a.M.
Das für die gegen den Zurückweisungsbeschluss eingelegte Beschwerde zuständige OLG Frankfurt a.M. entschied in diesem Fall: Wer fälschlich über die tatsächliche Zusammensetzung des Nachlasses irrt, kann die zunächst erfolgte Ausschlagung anfechten.

Ausschlaggebend dafür war die Art des Irrtums. Nach Auffassung des 21. Zivilsenats irrte die Frau bei Erklärung der Ausschlagung über die Zusammensetzung des Nachlasses.

Der Irrtum über das Vorhandensein von Kontoguthaben stellt einen Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses dar und fällt somit unter § 119 II BGB. Der Irrtum der Betroffenen ist auch insofern kausal für die Ausschlagung geworden, dass sie naheliegende Erkenntnismöglichkeiten über die Zusammensetzung des Nachlasses unzutreffend bewertet hat.

Anders als bei einem Irrtum über den Wert des Nachlasses an sich, welcher einen unbeachtlichen Motivirrtum darstellen würde, berechtigt der Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses, im konkreten Fall das Vorhandensein von Kontoguthaben, zur Anfechtung.

Der Senat wies zwar richtigerweise darauf hin, die Betroffene habe nicht alle „naheliegenden Möglichkeiten“ ausgeschöpft, um sich über die Zusammensetzung des Nachlasses zu erkundigen, was gegen das Vorliegen eines Irrtums spreche, kam jedoch in der persönlichen Anhörung zu dem Schluss, dass die Ausschlagung auf einer Fehlvorstellung basiert hat.

Anhaltspunkte für eine rein spekulative, nicht zur Anfechtung berechtigende Vorstellung über die Zusammensetzung des Nachlasses lagen nicht vor. Insbesondere der glaubhafte Bericht der Polizeibeamtin über die äußeren Umstände und die Lebenssituation der Erblasserin stütze diese Ansicht.

Relevante Normen:

  • § 1953 BGB Wirkung der Ausschlagung
    (1)Wird die Erbschaft ausgeschlagen, so gilt der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt.
    ….
  • § 1957 BGB Wirkung der Anfechtung
    (1) Die Anfechtung der Annahme gilt als Ausschlagung, die Anfechtung der Ausschlagung gilt als Annahme.
    ….
  • § 119 BGB Anfechtbarkeit wegen Irrtums
    (1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.
    (2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.

Quelle: OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 24.07.2024, Az. 21 W 146/23

Hinweis:
Das OLG Düsseldorf hatte bereits eine ähnliche Entscheidung getroffen (Beschl. v. 20.11.2020, Az. I-3 Wx 166/20

Beitragsbild: ©AdobeStock: U-JAlexander

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