Betreuungsrechtsreform 2023 – Was ist neu?
Das Notvertretungsrecht der Ehegatten
Mit der Wiedereinführung des § 1358 BGB begründet der Gesetzgeber ein neues Recht der Ehegatten/eingetragenen Lebenspartner: das Notvertretungsrecht in Angelegenheiten der Gesundheitssorge.
Dieses Institut soll im Fall medizinischer „Notsituationen“ helfen, die Beistandsmöglichkeiten der Eheleute/Lebenspartner untereinander zu verbessern und die Bestellung einer Betreuung zu vermeiden. Stattdessen nimmt der Ehe-/Lebenspartner die Aufgaben eines Betreuers im Bereich der Gesundheitssorge wahr.
Hierbei handelt es sich um ein Recht und nicht um eine Pflicht – niemand muss eine solche Vertretung übernehmen. Möchte oder kann der Ehe-/Lebenspartner dies nicht, kann der behandelnde Arzt nach wie vor das Betreuungsgericht kontaktieren.
Die Voraussetzungen für die Entstehung eines solchen Vertretungsrechtes sind einfach:
- es muss eine wirksame Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft bestehen und
- einer der beiden Ehegatten/Lebenspartner muss eine akut eingetretene gesundheitliche Beeinträchtigung oder Erkrankung haben, die ihn hilfsbedürftig macht oder er muss sich im Zustand der Bewusstlosigkeit befinden.
Liegen diese Bedingungen vor, ist der andere Ehegatte automatisch vertretungsberechtigt. Bei der ersten Ausübung seiner Vertretungsmacht bekommt er von dem behandelnden Arzt einen Nachweis seiner Berechtigung ausgestellt. Der Vertretende muss sich allerdings gegenüber dem behandelnden Arzt ausdrücklich auf das Ehegattennotvertretungsrecht berufen.
Von der Vertretungsmacht umfasst sind alle Maßnahmen der Gesundheitssorge und die damit zusammenhängenden Rechtsgeschäfte. Dabei sind nur unaufschiebbare Maßnahmen erfasst – es können also alle sofort erforderlichen medizinischen Entscheidungen getroffen werden.
Der Vertreter kann zudem, soweit erforderlich, die Einwilligung zu Heilbehandlungsmaßnahmen geben, Behandlungsverträge abschließen und Krankenakten einsehen. Die Ärzte sind ihm gegenüber von der Schweigepflicht entbunden.
Nicht möglich ist der Abschluss längerfristiger Verträge (z.B. Pflegeheimverträge), die länger bestehen als die Notvertretungsmacht des Ehegatten selbst. Allgemein ist der Vertreter verpflichtet, alle Angelegenheiten so zu besorgen, dass sie dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des anderen Ehegatten entsprechen.
Kein Notvertretungsrecht steht getrenntlebenden Ehegatten zu. Auch eine anderslautende Vorsorgevollmacht, ein für die Gesundheitssorge zuständiger Betreuer oder der entgegenstehende Wille des kranken oder bewusstlosen Ehegatten schließen das Vertretungsrecht aus. Dabei kann jeder einen Widerspruch zum Ehegattennotvertretungsrecht im Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer eintragen lassen. Im Zweifel genügt es aber auch, diesen Willen im Vorfeld dem behandelnden Arzt mitzuteilen.
Da es sich um ein NOTvertretungsrecht handelt, endet die Vertretungsmacht sobald der vertretene Partner wieder in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu regeln – spätestens jedoch mit Ablauf von sechs Monaten nachdem es geltend gemacht wurde. Danach findet eine gerichtliche Überprüfung statt und es wird gegebenenfalls ein Betreuer bestellt. Ansonsten erlischt die Vertretungsmacht, sobald die Krankheit oder Bewusstlosigkeit endet oder wenn eine Betreuung in dem betroffenen Bereich angeordnet wird.
Aber auch mit diesem neuen Notvertretungsrecht für Ehegatten bleibt für die tatsächliche Handlungsfähigkeit im Rechtsverkehr in Notfällen die Vorsorgevollmacht die zuverlässigste Variante, weil sie eben nicht an Bedingungen anknüpft. Dabei ist aber stets auch die Vertrauenswürdigkeit der bevollmächtigten Person entscheidend, um den Missbrauch auszuschließen. Die Originalurkunde sollte daher vielleicht nicht immer vorzeitig aus der Hand gegeben werden, sondern z. B. an einem bekannten Ort beim Vollmachtgebenden hinterlegt sein.
Quellen: Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz: Vorsorgevollmacht, insbesondere unter Berücksichtigung der Reform des Betreuungsrechts und der aktuellen Rechtsprechung – Teil I: Neuerungen bei der Vorsorgevollmacht und der Ehegattennotvertretung (ErbR 02/2023 S. 95 – 102); Münchener Kommentar zum BGB Band 9, 9. Auflage 2022, § 1358
LvG/MD 24.05.2023
*i.R. dieses Textes wird zu Gunsten der Lesbarkeit auf das Gendern verzichtet.
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