Mehrere gleichzeitig errichtete Testamente – welches gilt?

Mehrere zeitgleich errichtete Testamente – welches gilt?

Mehrere gleichzeitig errichtete Testamente – welches gilt?

Einleitung:
Wenn ein*e Erblasser*in nicht nur ein, sondern z. B. zwei Testamente errichtet, ist die Frage zu klären, welches der beiden Testamente gilt. Nach § 2258 BGB ist das früher errichtete Testament aufzuheben, sofern es dem später errichteten Testament widerspricht. Noch komplizierter liegen die Dinge, wenn der*die Erblasser*in zwei, voneinander abweichende, Testamente zeitgleich errichtet hat. In einem solchen Sachverhalt hatte das Oberlandesgericht Rostock (OLG) zu entscheiden.

Sachverhalt:
Der Erblasser ließ einerseits von einer Rechtsanwältin einen Testamentsentwurf anfertigen – und verfasste gleichzeitig auch noch zwei handschriftliche Testamente. Eines erstellte er auf kariertem, eines auf liniertem Papier. Beide Testamente datierte er auf den 04.07.2012. Inhaltlich glichen sich die beiden Testamente weitestgehend. Allerdings bedachte der Erblasser in dem auf kariertem Papier verfassten Testament eine seiner Töchter mit einem lebenslangen unentgeltlichen Nießbrauchsrecht. Dieses Vermächtnis fehlte in dem auf liniertem Papier niedergeschriebenen Testament. Das Amtsgericht Stralsund (AG) hatte sich somit zunächst mit der Frage zu beschäftigen, welches der beiden Testamente das maßgebliche jüngere im Sinne des § 2258 BGB ist.

Amtsgericht Stralsund:
Das AG urteilte, dass das auf dem karierten Papier verfasste Testament das maßgebliche Testament sei. Es habe sich in einem Hefter mit weiteren wichtigen Dokumenten befunden und die genaue Herkunft des Testaments auf dem linierten Papier könne nicht vollumfänglich aufgeklärt werden. Aufgrund der daraufhin eingelegten Beschwerde legte das AG dem OLG die Sache zur Entscheidung vor.

Oberlandesgericht Rostock:
Nach der Auffassung des OLG könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden, welches der beiden Testamente das frühere und demnach das maßgebliche Testament sei.

„Damit gelten beide Testamente als gleichzeitig errichtet mit der Folge, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Errichtung des späteren Testaments gem. § 2258 Abs. 1 BGB zur Aufhebung des früheren Testaments führt, soweit das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch steht.“ (Rn. 18)

Beide Testamente des Erblassers seien formgültige letztwillige Verfügungen. Aus dem Ort der Auffindung der Testamente oder Umständen der Errichtung oder ihrem Wortlaut ergäbe sich nicht, welches das zeitlich früher verfasste sei. Folglich sei davon auszugehen, dass der Erblasser beide Testamente an demselben Tag verfasst habe. Das Schriftbild und Fehlerdichte des Testaments auf dem karierten Untergrund sprächen allerdings dafür, dass dieses lediglich als Entwurf gewesen sei. Demgegenüber könne das Testament auf liniertem Papier als das maßgebliche Schriftstück angesehen werden. Auch ließen sich die Abweichungen des karierten von dem linierten und dem von der Rechtsanwältin entworfenen Testaments, nicht nachvollziehbar erklären. Insofern sei davon auszugehen, dass das Testament auf kariertem Papier versehentlich oder ein in großer Eile geschriebenes Schriftstück sei, während das auf liniertem Papier verfasste Testament die Korrektur dieses Entwurfes darstelle.

Nach Ansicht des OLG gelten die Testamente demnach als gleichzeitig errichtet. Nur der unvereinbare Teil der Testamente sei unwirksam, also das Vermächtnis eines lebenslangen Nießbrauchsrechts an eine Tochter des Erblassers.

Hinweis:
Ob für die Ausschlagung der Erbschaft oder die Beantragung eines Erbscheins, es ist in jedem Erb(rechts)fall für die Hinterbliebenen relevant, welches Testament des Erblassers maßgeblich ist. Dies ist bei mehreren Testamenten, die (zumindest der Fiktion nach) zeitgleich erstellt wurden, besonders schwierig. Das zeigt der vorliegende Fall. Die Lösung des OLG Rostock erfolgt im Sinne des § 2258 BGB, sodass sich widersprechende Ausführungen innerhalb der Testamente zu einer Unwirksamkeit eben dieser Passagen führen.

Quelle: OLG Rostock, Beschl. v. 30.11.2021 – 3 W 52/21

Relevante Normen:

§ 2258 BGB – Widerruf durch ein späteres Testament

  1. Durch die Errichtung eines Testaments wird ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch steht.
  2. Wird das spätere Testament widerrufen, so ist im Zweifel das frühere Testament in gleicher Weise wirksam, wie wenn es nicht aufgehoben worden wäre.

Beitragsbild: pxhere

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