Aufteilung eines aus Wertpapieren bestehenden Nachlasses
Häufig stellt sich die Frage nach der Form der Aufteilung eines Vermächtnisses, wenn mehrere Vermächtnisnehmer vorhanden sind. So liegt einem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt (OLG) liegt ein komplexer Erbrechtsfall zugrunde.
Sachverhalt:
Die 90-jährige Erblasserin errichtete ein notarielles Testament. In selbigem ordnet sie Vermächtnisse an, die ihr Alleinerbe zu erfüllen hat. Zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments, besaß die Erblasserin – ausweislich ihres Testaments – Wertpapiere in Höhe von 780.00,00 €. Diese sollten von ihrem Erben über eine bestimmte Bank verkauft werden. Der entsprechende Erlös sollte auf fünf Vermächtnisnehmer zu je 1/6 aufteilen, das verbleibende 1/6 sollte er sich selbst zuteilen.
Das Wertpapierdepot der Erblasserin wies zum Zeitpunkt Ihres Todes allerdings einen verminderten Wert von 101.569,00 € auf. Die Beklagten zahlten an die Klägerinnen den 1/6-Anteil basierend auf diesem Wert aus, wobei das Vermögen der Erblasserin zum Todeszeitpunkt einen Gesamtbetrag von 739.450,14 € aufwies.
Fraglich war jedoch, ob sich die Erblasserin mit ihrer Verfügung auch auf ihr Immobilienvermögen bezog, oder ob sich das Vermächtnis ausschließlich auf das Depotvermögen beziehen sollte und folglich auf den Wert, den selbiges zu ihrem Todeszeitpunkt hatte.
Instanzengang:
Das Landgericht Limburg (LG) sah die Ansprüche der Vermächtnisnehmer als erfüllt an, da diese jeweils einen 1/6-Anteil aus dem Erlös des Wertpapierdepots erhielten. Die Auslegung des Testaments würde ergeben, dass sich die Erblasserin bei der Errichtung des Testaments explizit nur auf das Wertpapierdepot bezogen habe. Insbesondere das Wort „derzeit“ im Testament der Erblasserin sei ein Anzeichen dafür, dass der Depotwert durchaus Schwankungen ausgesetzt sein kann und sich daher das Vermächtnis entsprechend wertmäßig vermindern könnte. Dem widersprechen die Klägerinnen mit dem Verweis darauf, dass die Wertangabe im Testament ein Hinweis auf dessen Auslegungsbedürftigkeit darstellen würde und das Wort „derzeit“ auch im generellen Wissen ob der Wertschwankungen von Wertpapieren genutzt wurde.
Höchste Instanz:
Entgegen der vom Landgericht vertretenen Ansicht sprach das OLG den Klägerinnen durchaus einen Anspruch auf weitergehende Erfüllung zu. Das Ziel der Regelung im vorliegenden Testament sei die Vereinfachung einer gleichmäßigen Verteilung gewesen. Nach einer Auslegung – unterstützt durch die Angaben des beurkundenden Notars – werde deutlich:
In der Sache sollte daher nach dem Willen der Erblasserin zwischen einem Vermächtnis der Wertpapiere und dem Vermächtnis des Verkaufserlöses kein Unterschied bestehen. (Rn. 20)
Bei dem vorliegenden Geldvermächtnis greife folglich die Regelung des § 2173 BGB. Der Gegenwert der Wertpapiere sei in der Erbmasse noch vorhanden und das Festgeldkonto könne als Surrogat des Wertpapiervermögens angesehen werden. Das Sparkonto sei zum Zwecke der Umschichtung des Wertpapiervermögens angelegt worden und sei somit ein Surrogat.
Letztlich sei jedoch nicht relevant, ob sich das Surrogat für Wertpapiere im Vermögen der Erblasserin befunden habe, da die Auslegungsregelung des § 2173 S. 2 BGB schon deshalb anwendbar sei, weil es sich vorliegend um Forderungen handele, die auf die Leistung von Geld-summen gerichtet sei. Eine Einschränkung erfahre § 2173 S. 2 BGB dadurch, dass nur das zum Zeitpunkt des Erbfalls vorhandene Guthaben vermacht wurden. Dies sei zumindest für das Festgeldkonto als gegeben zu werten. Die Darlegungs- und Beweislast treffe unterdessen denjenigen, der einen anderen Erblasserwillen geltend mache.
Selbst nach der Befragung des beurkundenden Notars ergäbe sich kein Wille der Erblasserin, nach welchem diese „den Vermächtnisnehmern nur das zukommen [lassen wollte], was im Todeszeitpunkt im Depot vorhanden war“. (Rn. 25)
Die Erblasserin habe die Wertangaben in ihrem Testament bewusst getätigt. So sei anzunehmen, dass die Erblasserin die Vermächtnisnehmer und ihren Erben in der Größenordnung begünstigen wollte, in der sich ein Wertpapierdepot von 780.000,00 € befände. Die Bezeichnung des Vermächtnisses stünde dieser Annahme nicht entgegen.
Das OLG kommt insoweit zu dem Schluss, dass die Klägerinnen einen Anspruch auf weitergehende Erfüllung haben und daraus folgend als restliches Vermächtnis jeweils ein Sechstel des Sparvermögens verlangen können. Zudem ergäbe sich ein Anspruch der Klägerinnen auf Verzugszinsen.
Der Aufgabenbereich eines*r Notars*in ist weitgefächert. Im Erbrecht muss sich diese*r vor allem mit dem Willen der*s Testierenden auseinandersetzen und diesen sorgfältig ausformuliert zu Papier bringen.
Wertpapierdepots in der Erbmasse sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Wertpapiere unterliegen Wertschwankungen, das ergibt sich aus ihrer Natur. Dieser Aspekt stellt die Testamentserstellung allerdings in mancher Hinsicht vor Schwierigkeiten. Der wahre Wille eines*r Erblassers*in lässt sich auch mithilfe von Auslegung nicht immer exakt ermitteln. Umso wichtiger ist eine solche Ermittlung des Willens durch eine*n Notar*in zu Lebzeiten der*s Testierenden.
Quelle: OLG Frankfurt, Urt. v. 05.04.2022 – 10 U 200/20
Gesetzestext: § 2173 BGB („Forderungsvermächtnis“)
Hat der Erblasser eine ihm zustehende Forderung vermacht, so ist, wenn vor dem Erbfall die Leistung erfolgt und der geleistete Gegenstand noch in der Erbschaft vorhanden ist, im Zweifel anzunehmen, dass dem Bedachten dieser Gegenstand zugewendet sein soll. War die Forderung auf die Zahlung einer Geldsumme gerichtet, so gilt im Zweifel die entsprechende Geldsumme als vermacht, auch wenn sich eine solche in der Erbschaft nicht vorfindet.